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Jede dritte Frau – Wie sich Natascha Sagorski für den gestaffelten Mutterschutz nach Fehlgeburten einsetzt

Jede dritte Frau – Wie sich Natascha Sagorksi für den gestaffelten Mutterschutz nach Fehlgeburten einsetzt

Veröffentlicht

24. August 2022

Text 

Stine Albers

oben im bild | Stine albers

Jede dritte Frau erlebt eine Fehlgeburt. Die meisten verlieren ihr Kind noch vor der 12. Schwangerschaftswoche (SSW). Doch selbst bis zur 23. SSW haben Frauen in Deutschland kein Recht auf Trauerurlaub oder Mutterschutz – das bedeutet, kein Recht auf Krankschreibung, kein Recht auf Pause, keine Recht auf Trauer und insbesondere keine Rechte als Mutter. Mit ihrem Buch „Jede dritte Frau“ und ihrer Petition für einen gestaffelten Mutterschutz will Natascha Sagorski aufklären und vor allem eines: Dinge verändern!

Als Natascha 2019 die Worte „Ich finde leider keinen Herzschlag“ hört, stockt ihr der Atem. Aus dem nichts zerfällt ihre Welt in tausend Teile, ohne jegliche Vorwarnung und ohne Halt. Dieser Moment haut sie um. Obwohl Natascha mit Reden ihr Geld verdient, verschlägt es ihr in der Zeit nach der Fehlgeburt die Sprache.

fotos | nina andre

Jede Dritte Frau – ein Buch über Fehlgeburten

Mittlerweile hat sie ihre Worte wiedergefunden. Und nicht nur das: Sie sammelt Stimmen. Natascha möchte verbinden und connecten. In ihrem Buch „Jede dritte Frau“ bringt sie die Geschichten von 25 Menschen zusammen, die alle eine oder mehrere Fehlgeburten durchleben mussten. Es ist unglaublich bewegend, wie eine Diagnose 25 vollkommen unterschiedliche Erfahrungsberichte lostritt, die sich am Ende doch alle in Gefühlen von Einsamkeit und Trauer wiederfinden. Auf der einen Seite steht eine höchst intime und individuelle Situation, auf der anderen ein kollektives Empfinden von Überforderung, Schmerz und Alleinsein.

Es sind genau diese wiederkehrenden Gefühle, die Natascha unfassbar wütend machen und über das Buch hinaus antreiben, etwas verändern zu wollen. Jede Fehlgeburt bleibt ein einschneidendes, niederschmetterndes Erlebnis. Doch es gibt Stellschrauben, mit denen die Rahmenbedingungen für betroffene Eltern und insbesondere Mütter sich erheblich verändern könnten.

Denn eines steht fest: Zwei Menschen, die sich von ihrem ungeborenen Kind verabschieden müssen, sind Eltern. Eine Frau, die eine Fehlgeburt hat, ist eine Mutter – und bleibt es auch, egal wie lange das Herz ihres Babys geschlagen hat.

Fehlgeburten: Eine harte Grenzziehung funktioniert hier nicht

Neben der unbeschreiblichen Traurigkeit hat sich bei Natascha noch ein anderes Gefühl breit gemacht, das für viel Antrieb sorgt: Es ist Wut. „Ich bin jeden Tag schockiert“, sagt sie. Denn wegen ihres Buches und nach zahlreichen Interviews in Magazinen wie dem Spiegel und dem Stern, sowie mehreren Auftritten im Frühstücksfernsehen, erreichen Natascha tagtäglich Nachrichten von Frauen, denen das gleiche passiert ist. Vor allem melden sich Frauen bei ihr, mit denen in dieser Situation scheiße umgegangen wurde.

Wieso muss eine Frau, die ihr Kind verliert, um eine Krankschreibung betteln? Wieso weiß ich als Frau nicht über meine Optionen Bescheid? Wieso werde ich als Frau in der Regel nicht ausreichend darüber informiert, dass es die Möglichkeit einer stillen Geburt gibt, dass ich als Betroffene einen Anspruch auf eine Hebamme habe, sogar während und nach der Fehlgeburt, oder dass es Möglichkeiten gibt, das winzig kleine Baby zu bestatten? Vor allem jedoch muss ich als Frau dringend darüber aufgeklärt werden, dass es durchaus Anlaufstellen für schnellen und akuten psychologischen Beistand gibt, beispielsweise bei ProFamilia.

Häufig kehren betroffene Frauen gezwungenermaßen zu früh zurück in den Arbeitsalltag. So bleibt oft nicht ausreichend Zeit, das Geschehene zu verarbeiten. Es ist demnach kein Wunder, dass viele von ihnen in der Folge an Depressionen erkranken und dadurch oft sogar länger ausfallen, als wäre ihnen von Anfang an der Raum und das Netz geboten worden, um richtig aufgefangen zu werden.

Eine Frau erzählt Natascha davon, dass sie ein totkrankes Kind im Bauch trägt. Dieses Kind wird nicht überleben. Dennoch hofft die Betroffene inständig, dass ihr Baby bis zur 24. SSW durchhält, damit sie ein Recht auf Mutterschutz hat. Das absurde dabei: In der 23. SSW ist eine Frau fast ein halbes Jahr schwanger, aber am Ende entscheiden 24 Stunden darüber (zwischen 23. SSW und 24. SSW), ob sie vor dem Gesetz eine Mutter ist oder nicht. Ob sie im Ernstfall Anspruch auf 18 Wochen Mutterschutz hat. Die Frage nach der Logik kann hier nur mit einem Kopfschütteln beantwortet werden. Es ergibt schlicht keinen Sinn, beim Thema Fehl- und Totgeburten eine dermaßen harte Grenzziehung vorzunehmen. So werden allen Schwangeren bis zur 24. SSW jegliche Chancen auf Schutz verwehrt. Eine derartige Schwarz-Weiß-Mentalität ist in diesem Fall absolut unangebracht.

Gestaffelter Mutterschutz bei Fehlgeburten

Aus diesem Grund setzt sich Natascha für einen gestaffelten Mutterschutz ein und hat Anfang 2022 eine Petition gestartet. Denn warum sollte es keinen gestaffelten Schutz geben, auch für Frauen die vor der 24. SSW ihr Kind verlieren?

„Fehlgeburten sind negativ besetzt: Und Politik scheut sich vor negativ behafteten Themen – wieso, das frage ich mich auch!“ – Natascha Sagorski

Es ist kein Wunder, dass Frauen in Deutschland schlecht Bescheid wissen, wenn die Strukturen von oben für umfassende Aufklärung schlicht nicht gegeben sind. Wenn ein:e Gynäkolog:in erst nach dem Diagnoseschlüssel suchen muss, obwohl Fehlgeburten statistisch gesehen absolute Normalität sind, dann spricht das Bände über ein Problem im System.

Mit ihrer Petition möchte Natascha bewirken, dass eine Expert:innenkomission den Ist-Zustand kritisch begutachtet und gleichzeitig neue Ansätze für eine Staffelung und die Höhe des Mutterschutzes entwickelt. Sie fordert außerdem, dass dieser Mutterschutz ein Angebot des Staates ist, und für die Frau nicht verpflichtend. Dass eine Krankschreibung allein im Ermessen des:r behandelnden Mediziner:in liegt, da ein Kind unter 500 g Körpergewicht laut Gesetz nicht als Mensch gilt, und eine Frau daher nicht als schützenswerte Mutter, ist ein unzumutbarer Zustand.

Fehlgeburten sollten zum Allgemeinwissen gehören

Natascha ist enttäuscht von der Gleichgültigkeit der Politik. Während die mediale Aufmerksamkeit für das Thema funktioniert und gut aufgenommen wird, passiert politisch wenig. Auf viele Anfragen und Einladungen zum Austausch gab es nicht mal eine Absage. Das Bayrische Gesundheitsministerium wollte kein Statement abgeben. Von einem grünen Familienministerium erwarte sie mehr, sagt Natascha.

Doch von kleineren und auch von den größeren Hürden lässt sich Natascha Sagorski nicht abschrecken. Ihr Wille und ihre Motivation treiben sie an. In einer idealen Zukunft sollen alle Frauen, beziehungsweise Eltern, über die Häufigkeit von Fehlgeburten, den medizinischen Umgang mit diesen und anschließende potenzielle Anlaufstellen für Hilfeleistungen aufgeklärt werden. Das Thema soll zum Allgemeinwissen gehören, insbesondere damit Frauen Versagens- und Schuldgefühle ablegen und sich nicht mehr wie Einzelfälle fühlen müssen.

Bevor sie ihr Buch schrieb und auch als sie sich für eine Petition entschied, hatte Natascha Respekt vor Triggern und dem schmerzhaften Aufreißen alter Wunden. Neben viel Frust, langen Abenden und dem nicht immer leichten Jonglieren von Presseterminen, Interviews und dem Alltag mit zwei kleinen Kindern, bleibt am Ende vor allem eins: Mut. Jede einzelne Nachricht von jeder Frau gibt Natascha Kraft. Durch ihre Arbeit erlebt sie immer wieder einen wundervollen Austausch mit ganz verschiedenen Menschen, die sie bestärken und motivieren, weiterzumachen.

Denn das Thema ist relevant, und wird es bleiben. Es geht dabei um Frauenrechte, es geht um die Würde, die Anerkennung und den Respekt vor dem Frau sein und dem weiblichen Körper. „Wenn ich mich nicht laut mache, dann macht es keiner“, sagt Natascha. Und sie ist laut, und wird immer lauter.

 

Petition – Einführung eines gestaffelten Mutterschutzes. Frist: 20.09.2022

Natascha Sagorski sammelt Stimmen und Geschichten.

Erst für ihr Buch. Jetzt für die Petition. Wir vom AMAZONEN Magazin sind unfassbar stolz, sie hierbei unterstützen zu dürfen und wollen bei diesem wichtigen Thema am liebsten so laut es nur geht mitbrüllen. Den Link für die Petition findet ihr im Text und sonst auch nochmal hier. Wir freuen uns, wenn ihr Frauen dabei helfen möchtet, mehr Rechte auf Schutz nach Fehlgeburten zu bekommen.

Credits

Fotos –  Lena Augustin

Text – Stine Albers

Amazone

Instagram – natascha_sagorski

Buch – Jede 3. Frau

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Innen

Tigerbaby

Tigerbaby – Ein Erfahrungsbericht über das Kind, das ich nie kennenlernen durfte

Veröffentlicht

10. August 2022

Text 

Stine Albers

bilder | Erdim Özdemir

Wo fange ich an zu erzählen, wenn die Geschichte vom Ende handelt? Im Februar 2022 fand ich heraus, dass ich schwanger war. Nur knapp 2 Monate später musste ich mich Anfang April von meinem ungeborenen Kind verabschieden, da sein Herz nicht mehr schlug. Das hier ist meine Geschichte, über eine der intensivsten Phasen meines Lebens. Über das Gefühl einer Lücke, die entstanden ist. Und über die Lücken und das fehlende System, das Eltern in dieser Situation allein lässt.

Also nochmal: Wo fange ich an zu erzählen, wenn die Geschichte vom Ende handelt? Und wieso gibt es eigentlich kein Wort für diese Momente im Leben, in denen das Ende eigentlich die Geburt von etwas Neuem bedeutet. Wieso ist es eine Fehlgeburt, wenn doch so viel daraus entstanden ist – aber eben nicht das, was ich hätte gebären sollen? Ist es dann ein Fehler? Ist dieses Kind ein Fehler, oder ist diese Geburt einfach die erste Stunde eines ganz anderen, nicht vorhersehbaren Antriebs gewesen. Einer Aufgabe, die ich niemals auch nur hätte kommen sehen, aber die jetzt Kraft spendet und nach vorne prescht. Einer Aufgabe, deren Lungen nie Luft atmeten. Leider. Aber die auf eine gewisse Art und Weise jetzt trotzdem Sinn durch meine Adern fließen lassen.

Das hier ist meine Geschichte. Und der gleich folgende Satz soll nicht abwertend klingen. Er soll der Sache an sich in keiner Weise die Relevanz nehmen. Aber könntet ihr mich jetzt hören, dann würde ich diesen Satz in einem ernüchterndem Ton aussprechen. Denn es ist genau diese Ernüchterung, Erschütterung und der bodenlose Schock über den Ist-Zustand, denn:

Ich bin nichts Besonderes. Ich bin keine Ausnahme. Ich bin der verdammte Durchschnitt.

Aber auch dieser Durchschnitt tut weh. Erschütternd ist nur, wie ein so durchschnittlicher Schmerz so überdurchschnittlich wenig Beachtung findet. Hier also mein Erfahrungsbericht. Über einen normale Erfahrung, die leider so viele Eltern und insbesondere Frauen* durchleben. Jedes Jahr, jeden Tag.

*Frauen in all ihrer Diversität

Ich wollte immer Kinder haben, irgendwann. Aber noch nicht jetzt. Ich bin eine beinahe zwanghaft Freiheitssuchende und das Jahr 2022 schien endlich genau die Sorte von Weg zu sein, nach der ich immer gestrebt hatte: Endlich frei arbeiten, egal von welchem Ort. Endlich finanziell unabhängig. Gefühlt hatte ich 6 Jahre daran gearbeitet, alle notwendigen Türen aufzuschließen, und 2022 war das Jahr, in dem ich endlich durch alle hindurchgehen konnte. Und dann kam Valentinstag und zwei kleine Striche auf einem Schwangerschaftstest, der es mir für kurze Zeit unmöglich machte, meine Realität zu verstehen. Schwanger also. Na klar. Da buddel ich mich Jahr um Jahr an diesen Punkt in meinem Leben, und dann das. Ein Kind. Ein Baby. In mir. Grenzen über Grenzen. Alles anders. Das konnte nicht wahr sein.

Mit den Gedanken, Ängsten und Emotionen, die in diesen Tagen meinen Kopf füllten, könnte ich weitere Artikel füllen. Und es ist übrigens vollkommen okay, mit dieser Entscheidungsfindung überfordert zu sein. Denn es ist absolut okay, sich mit vollem Herzen für das eigene Baby zu entscheiden und trotzdem nur langsam in der Situation anzukommen, für die es keine Vorbereitungszeit gab. Über das Nicht-Einfach-Sein von Schwangerschaften und die Momente, in denen Frauen* halt einfach nicht ohne Ende „strahlen“, obwohl sie ein Baby in sich tragen (dürfen), wird in diesem Blog auch noch geschrieben werden.

Aber zurück zu meiner Geschichte, denn ich entschied mich gemeinsam mit meinem Partner ziemlich schnell für das Kind, das es ausversehen in unser Leben geschafft hatte. Denn ab diesem Zeitpunkt war das absolut Unreale real. Ab diesem Punkt begann ich, das kleine noch unsichtbare Wesen zu beschützen, in jeder Situation und bei jeder Entscheidung. Kann ich das essen? Wie mache ich das mit dem Geld? Wie arbeite ich jetzt eigentlich und auch dann, wenn das Baby da ist? Wo ziehe ich hin? Laut unserem Staat gilt ein Mensch erst ab 500 Gramm als Person – Um ehrlich zu sein tritt dieses Kind tritt allerdings in das Leben seiner Eltern, bevor es überhaupt Füße hat.

Den gesamten März verbrachte ich in Portugal, wie ich es bereits vor meiner Schwangerschaft geplant hatte. Ich hatte meinen Arzt gefragt, ob ich fliegen könne und er nahm mir alle Bedenken. Nach meiner Zeit im Ausland kam ich dann zurück nach Deutschland und ging einen Tag nach meinem Rückflug zu meinem Gynäkologen, für die erste große Untersuchung. Ich war in der 11. Woche. Drei Tage vorher hatte ich noch vor einem Hostelklo gehockt und gekotzt. Was sollte schief gehen, was sollte schon sein? 26 Jahre alt, sportlich, gesund lebend – die Voraussetzungen hätten nicht besser sein können.

Was dann geschah war die steilste Berg- und Talfahrt, die ich bisher erlebt habe. An diesem Tag warf ich den allerersten Blick auf mein Kind, das einen Kopf und einen kleinen, bohnenförmigen Körper hatte. Und es schien mir das riesengrößte Glück auf ganzen Welt zu sein, dass dieses Wesen gegen meinen Willen entschieden hatte, einfach mal in meiner Gebärmutter Platz zu nehmen. Ebenfalls an diesem Tag sagte mein Gynäkologe, dass er sehr verwundert sei, aber er könne keinen Herzschlag finden. Das Kind sei sehr groß, es könne noch nicht lange her sein. Irgendwas war schief gegangen. Zwischen diesen Momentaufnahmen lagen Sekunden. Zwischen diesen Momentaufnahmen zerbrach mein Herz, während mein Hirn mal wieder nicht hinterher kam. Mal wieder die Realität nicht verstand. Mal wieder vom Leben ein paar Entscheidungen getroffen wurde, ohne mir vorher Bescheid zu geben.

Was dann passierte, waren ein paar mentale Zusammenbrüche, mehrere Liter Tränen und Wochen voller ummantelnder Traurigkeit, die ich so noch nicht erlebt hatte. Ich wurde krankgeschrieben und meine Ausschabung verlief problemlos, worüber ich mich im Nachhinein (und nachdem ich mich mehr über das Thema informiert hatte) sehr glücklich schätzen kann. Auch hierzu später mehr.

Wie verabschiedest du dich von etwas, dessen Gesicht du noch nie gesehen hast, obwohl du wahrscheinlich dein eigenes in ihm erkennen könntest? Wie begräbst du eine Idee, die gerade mal 3,4 cm groß war und die doch dein ganzen Leben eingenommen hätte und eigentlich bereits hatte. Wie löst du dich von einem emotionalen Schmerz, der mit kleinen Nachwehen Gebärmuttergewebe aus dir rausschiebt? In mir arbeitete das natürliche Aufräumkommando meines Körpers, das rausschmiss, was nicht mehr gebraucht wurde. Nur mich, mich konnte ich nicht raussschmeißen. Kann übrigens keine Frau*. Du sitzt im 4D-Kino eines Films, der dir das Herz zerfetzt. Und es gibt keinen Notausgang, es gibt keine zensierte Version und es gibt auch kein Popcorn.

Ich hatte unfassbares Glück mit meinem liebevollem Umfeld, mit einer Mama die das Gleiche erlebt hatte und mit einem Partner, der eben genau DAS in einer Situation wie dieser war: ein Partner. Und auch wenn ich voller Dankbarkeit bin darüber, dass diese Menschen mich trugen und auffingen, war ich doch unfassbar einsam in diesem Moment. Denn am Ende war ich es, die das alles spürte. Komische Dinge, die vielleicht witzig hätten sein können. Die irgendwie auch das Wunder des menschlichen Körpers widerspiegeln. Aber wenn mir eine Woche nach meiner Ausschabung auf einmal Muttermilch aus meiner Brust kommt, zum aller aller ersten Mal in meinem Leben, dann ist das vor allem eins – ein physischer Reminder an das, was nicht ist. Überforderung ist gar kein Ausdruck für das, was da passiert ist.

„Du bist nicht allein und vor allem bist Du nicht schuld.“ 

Warum ich heute hier meinen Geschichte erzähle, ist zum einen, um dir, der Frau*, die gerade das Gleiche erleidet, zu sagen: Du bist nicht allein und vor allem bist du nicht schuld. Du erlebst eines der schmerzvollsten Normals, die es gibt. Und in erster Linie tut es mir unendlich leid, dass du da gerade durchgehen musst. Mit diesem Artikel will ich dich in erster Linie umarmen. Aus der Ferne. Ich denke an dich. Und ich weiß, wie es dir geht.

Zum anderen ist dieser Artikel einer unglaublichen Wut entsprungen. Denn ich habe mich nicht aufgeklärt gefühlt. Ich habe mich nicht informiert gefühlt. Auf diese Situation kann dich nichts auf dieser Welt vorbereiten, aber es ist immer besser, informiert zu sein. Natascha Sagorski bringt in Jede 3.te  Frau die Geschichten von 25 Betroffenen zusammen, wobei der Titel bereits die Pointe ist. Wie kann es sein, dass durchschnittlich jede dritte Frau* in ihrem Leben eine Fehlgeburt erleiden muss, und doch gibt es so wenig Aufklärung. Die meisten Menschen wissen häufig nur von diesem Thema, wenn ihnen selbst oder im engeren Umfeld eine Fehlgeburt passiert ist. Wie kann eine dermaßen einschneidendes Erlebnis allein durch Mundpropaganda thematisiert werden, und nicht von den Stellen, die vernünftig informieren sollten? Warum gibt es keinen Flyer, der mich als Betroffene direkt nach der Nachricht Kein Herzschlag informiert? Warum gibt es kein Recht auf Krankschreibung? Wieso werde ich generell nicht über meine Rechte aufgeklärt und all meine Optionen? Es ist mir so unfassbar unverständlich, wie wenig über dieses Thema gesprochen wird. Und wenn du gerade akut in der Situation steckst, ist einfach nicht von dir zu erwarten, dass du dich selbst umfassend informierst. Wenn du in der Situation steckst, dann bist du Vollzeit beschäftigt damit, einfach zu atmen und klar zu kommen.

Und aus diesem Grund möchte ich in einer Reihe aus Artikeln das zusammenführen, was ich durch eigene Recherchen und durch den Austausch mit anderen Betroffenen und engagierten Menschen erfahren und lernen durfte. Mein Baby wäre im Jahr des Tigers geboren – ein Tier, dass für mich so viel Kraft, Eleganz und Stärke ausstrahlt. Ich fand dieses Bild immer sehr schön.

Ich versuche, das alles nicht als Fehlgeburt zu verstehen, sondern als eine Geburt, die in etwas anderes mündete, als erwartet. Eine AndersGeburt, vielleicht. Denn der kleine Tiger hat trotzdem vieles in mir und meinem Umfeld entstehen lassen, hat Energie und Antrieb geboren.

An manchen Tagen bin ich unendlich traurig, dass dieses Kind nicht mehr in mir ist und ich es nie im Arm halten werde. Aber an vielen Tagen spüre ich auch, dass es nichtsdestotrotz immer bei mir ist. Am Ende bin ich dankbar für jegliche Existenz und Form, die es angenommen hatte und hat. Ich und mein Tiger schreiben diese Artikel zusammen, führen diese Interviews gemeinsamen und hoffen, einigen Frauen* und Sterneneltern in schlimmen Momenten ein bisschen Trost und Halt zu spenden.

Stine

Credits

Foto – Erdim Özdemir

Text – Stine Albers

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Verbindung

Geburt der Mutter und des Kindes

Zwei Striche auf dem Schwangerschaftstest. Wie lange hatte ich mir das herbeigesehnt! Ich wurde vor die Frage gestellt, die bereits Milliarden von Frauen und Männer vor mir beantwortet hatten, sich fragen mussten oder durften. Nicht Jede*r von ihnen hat das so genannte „Privileg“ überhaupt eine Wahl zu haben. Doch ich hatte sie. Mein Partner hatte sie. Beginnen wir mit dem Ja unsere persönliche Geburt und die unseres Kindes?

Viele Jahre lang hatte ich anderen Familien zugesehen, wie sie spielten, gemeinsam wuchsen, sich auch oft zweifelten…verfolgt von dem Gedanken, dass sie etwas hatten, was mir noch nicht möglich war: eine Familie. 

„Neid ist ein Signal, … für etwas, was das Herz zu vermitteln versucht“

Neid ist in unserer Gesellschaft und in meinem Kopf so ein Unding, wie nackt durch München zu laufen. Ein mehr oder weniger unausgesprochenes Verbot. Doch ich war es. Neidisch.

Im Hinblick darauf heute weiß ich, dass es ein Signal ist, dass das Herz zu vermitteln versucht. Dass es zeigen will, wo es im eigenen Leben vielleicht einen Mangel gibt oder dass es nötig wäre einen Blick auf das zu werfen, was wirklich dahinter liegt.

„Ein Marathon … mal Löwin, mal schüchterne Maus“

Mit dem Test in der Hand hatte ich auf einmal eine Verantwortung in die Hände gelegt bekommen, deren Ausmaße mich wie ein Tornado überrollten. „Ich?“ fragte ich mich. „Wirklich ich? Ich dachte, ich kann keine Mutter werden. Ich dachte, für mich ist das nicht vorgesehen.“ Doch es ist und war so.

Ein Marathon der Gefühle ging los, von dem ich zuvor noch nie gehört hatte. Mal Löwin, mal schüchterne Maus. Noch nie in meinem Leben fühlte ich mich so hin- und hergerissen. Leben beginnen lassen oder beenden? Im Nachhinein kann ich sagen: Zeit und zwar wirklich Zeit für sich und seine Gedanken, für das eigene Herz und für die wahren Rufe hinter der Angst zu haben, ist eine sanfte Schatzkiste. Keine Impulshandlung, sondern bedacht gesetzte Schritte.

 „Mit dem eigenen Rückgrat weitergehen … und dem Mut zu leben.”

Für mich und auch für den Vater des Kindes kam ein klares Ja dabei heraus. Ein Ja, dass weitere Berge in Bewegung setzte; genauso wie es ein Nein getan hätte.

Doch was folgte, ist machbar. Denn wie jede Entscheidung im Leben, die mit dem eigenen Rückgrat getroffen wurde, können  wir danach aufrecht weiterdenken und -fühlen. Weitergehen und -wachsen mit der eigenen Kraft und dem Mut zu leben.

 

Eure Luisa