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Freiheit

Willkommen zurück: Ein Rückblick auf Reiseerkenntnisse und Ankommenszweifel

Auf Reisen sind wir immer noch wir selbst. 

Zwei Wochen bin ich nun schon wieder zurück von einer Motorradreise, wieder zurück Zuhause und im Alltag. Meine Wohnung ist gefühlt zu voll von unnötigen Dingen und mein Kopf zu voll von Gedanken, von deren Bedeutung ich mich noch überzeugen muss. So oft hört man, dass Menschen, die lange unterwegs sind oder unkonventionelle Reisen machen, vor etwas weglaufen. Aber was wäre, wenn wir nicht vor etwas weglaufen, sondern vielmehr ein Stück auf etwas zu – und zwar auf uns selbst? Ich bin immer noch ich, aber ein bisschen reicher an Menschen und den unzähligen Fotos – real und imaginär – die ab jetzt in meinem Erinnerungsarchiv abgespeichert sind. Diese Reise ging gar nicht so sehr ums alleine Reisen als Frau mit dem Motorrad, sondern vielmehr ums Reisen mit dem Motorrad und mir selbst. 

„Ich finde das unglaublich mutig. Ich hab großen Respekt vor dem, was du tust.“ 

Das sind Worte, die ich von den verschiedensten Menschen während der Reise gehört habe. Manchmal war es ehrlich gesagt viel leichter als gedacht. Es ging ums Fahren und ums Ankommen, ums weiterfahren, Mittagessen in der Sonne, tanken & Luftdruck messen, Weiterfahren und ankommen, orientieren und innehalten. Keine übermäßige Portion Mut oder Können. 

Und manchmal war es viel schwieriger als gedacht: Es ging darum, sicher anzukommen trotz Regen, um die Suche einer sicheren Übernachtungsmöglichkeit, darum ein noch nicht komplett durchgeschwitztes Kleidungsstück zu finden oder hoffentlich eine letzte Tankstelle vor dem nächsten Pass. Manchmal war es leichter und manchmal schwieriger, aber meine Mama hat schon immer gesagt: „Es geht immer irgendwie weiter.“ Und egal, wie hungrig, müde, durchgeschwitzt ich war, ich wusste, irgendwann stehe ich erleichtert unter einer kalten Dusche, bekomme eine Flasche Wasser und ein Lächeln geschenkt. 

Nach jedem Sturm trocknet mein Zelt in der Morgensonne und ich packe mein Gepäck zusammen und fahre einfach wieder los. Durch all diese Städte, in denen Menschen ihren Alltag leben, in hübschen Holzhäuschen mit blühenden lila Geranien und verrosteten Milchkannen neben dem Eingang oder in den grauen Hochhäusern mit knallroten Langnese-Sonnenschirmen auf den baufälligen Balkonen. Durch unwirkliche Landschaften und Hochplateaus, wo ich fast das Lächeln in den Augen der Kühe erkennen kann, die in wilder Natur grasen, vorbei an Dörfern, wo mir herrenlose Hunde sehnsüchtig hinterher schauen. Und dann sitze ich nach einem Tag auf dem Motorrad mit einem halben Liter Wein auf einem Campingplatz irgendwo am Lago Maggiore und denke an vergangene Tage, die aufregend und anstrengend gleichermaßen waren, angereichert mit unglaublichen Erfahrungen, unwirklichen Landschaften und dem Regen als ständigen Begleiter. 

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Im Hintergrund läuft The Script: I‘m falling to pieces. 
Ich zerfalle in viele einzelne Teile und bin ich und doch nicht ich. 

Und dann kommt wieder diese Frage hoch: Finden wir auf Reisen wirklich zu uns selbst oder zerfallen wir nur ein Stück mehr in all unsere Facetten? Mache ich diese Reise wirklich als Weg zu mir selbst oder aus Flucht vor dem Leben? Gibt es überhaupt das einzig richtige Leben und ist es nicht viel besser, ein Leben lang danach zu suchen, weil man dann die Neugier auf Unbekanntes nicht verliert? 

Diese Reise könnte ein entscheidender Schritt sein, aber wenn ich ehrlich bin, ist meine Zeit voll mit Gedanken über die nächste Unterkunft, ob der Regen mich doch ein weiteres Mal einholt und ob jemand wohl meine Sachen klauen wird, wenn ich an dem Restaurant an der Straße einen Espresso trinke. Alleine reisen ist schön, mit all seinen Facetten, und ich bin froh, so oft an Orten anhalten zu können, Details mit meiner inneren Kamera einzufangen, die sonst wohl niemanden interessieren. Aber jeder, der schon einmal alleine gereist ist, weiß, es kann auch eine Herausforderung sein, sich jedesmal alleine zu entscheiden, sich auf niemanden sonst verlassen zu können. Ich weiß jetzt, auch auf mich ist nicht immer Verlass, meine Entscheidungen manchmal fragwürdig. Dann bin ich auch froh, dass das niemand sonst mitbekommt; dass ich vom Weg abkomme, mich verfahre, dreimal auf dieselbe Autobahn fahre und fünfmal über demselben Hering falle, und mein Zelt damit jedes Mal beinahe zum Einsturz bringe. 

Letztlich glaube ich, dass wir auf Reisen gar nicht eher zu uns selbst finden als im Alltag. 

All diese Gedanken hätte ich auch bei einem Glas Rotwein auf dem Balkon meiner Münchner Wohnung haben können – aber ich hab sie eben bei dem Glas Secco, den mir der nette Typ von der Rezeption ausgegeben hat, weil er ein klein wenig nett zu dem Mädchen sein wollte, das zwischen dauercampenden Italienern etwas verloren wirkt. Und ich freue mich, weil mein Vertrauen auf die Menschen mich noch nie betrogen hat. Ich kann erkennen, dass ein Lächeln echt ist, auch wenn ich die Sprache des Menschen, der es mir schenkt, nicht verstehe. Und das ist schon mehr als genug. Und vielleicht ist das der eigentliche Grund für diese Reise; ungefiltert Menschen zu sehen, Sekunden eines Lebens mitzubekommen und Momentaufnahmen zu schießen von Vegetationen in Schweizer Nationalparks, verlassenen italienischen Dörfern und Menschen, die ich wahrscheinlich doch nur ein einziges Mal treffen werde. 

Vielleicht geht es bei dieser Reise gar nicht so sehr um mich selbst, sondern vielmehr um das, was immer da ist, die Nebensächlichkeit der eigenen Wirklichkeit und der Bedeutung von Nebensächlichkeiten, die eigentlich gar keine sind. 

Und dann hoffe ich wieder, dass es heute Abend nicht regnet, damit ich morgen meine Sachen trocken zusammenpacken kann; ich frage mich, wie lange ich wohl zu meinem nächsten Ziel brauche, und wie schön die Dusche am Abend nach einem heißen Tag in Motorradklamotten sein wird. 

Letztlich bin ich froh, dass ich all diese Gedanken haben darf, die vielleicht wichtigen und die möglicherweise unwichtigen, deren Wert ich auf genau solchen Reisen hinterfragen und neu definieren darf. 

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Denn aus all unseren Gedanken entsteht letztlich auch unsere ganz persönliche Realität. 

„Realität“ hat tausende Gesichter und manchmal dreht sie sich um und lässt mich einfach hier stehen. Mit all den Erkenntnissen und Erinnerungen, die ich mit den Menschen teile, die ich traf und mit den Orten, die ich sah. Gestern, vorgestern, letzte Woche, morgen. Morgen wird meine Realität anders sein als heute, aber sie bleibt ein subjektives Konstrukt, das ich ändern kann und manchmal setze ich diese peinliche rosarote Plastikbrille auf und bin zufrieden mit all den Regenbogenwelten. Und manchmal vergesse ich diese Brille zu hause und sehe alles ein bisschen klarer und vielleicht auch kälter. Wie an jenem Tag, an dem ich diese Stadt zwischen den französischen Bergen verließ. Eine Stadt, die es mir leicht gemacht hat, über einen abgebrochenen Seitenständer hinwegzusehen und stattdessen französischen Brie auf selbstgebauten Halfpipes zu probieren. Nach all den Realitäts Erinnerungen, die rosarot und in diesem ganz besonderen türkisgrün der Bergseen schimmerten, an denen wir schliefen, war der Himmel auf dem Weg aus der Stadt gewittergrau. Bis zum nächsten Gebirge, an dem die Gewitterwolken an den Gipfeln hinter mir hängen bleiben und vor mir nur eisblaue Flüsse durch Wildblumenwiesen rauschen und die Menschen mich mit „Grüezi“ begrüßen und einem warmen Lächeln, das meiner rosaroten Brille ehrlich gesagt ziemlich nah kommt. 

 

Blogartikel von Laura Niklaus

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Auf ihrer Website www.studiowoandertraveltales.de, dem dazugehörigen Podcast und auf Instagram unter laura_nkls berichtet Laura von den Erlebnissen auf ihrer Solo-Reise mit dem Motorrad.