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Jede dritte Frau – Wie sich Natascha Sagorski für den gestaffelten Mutterschutz nach Fehlgeburten einsetzt

Jede dritte Frau – Wie sich Natascha Sagorksi für den gestaffelten Mutterschutz nach Fehlgeburten einsetzt

Veröffentlicht

24. August 2022

Text 

Stine Albers

oben im bild | Stine albers

Jede dritte Frau erlebt eine Fehlgeburt. Die meisten verlieren ihr Kind noch vor der 12. Schwangerschaftswoche (SSW). Doch selbst bis zur 23. SSW haben Frauen in Deutschland kein Recht auf Trauerurlaub oder Mutterschutz – das bedeutet, kein Recht auf Krankschreibung, kein Recht auf Pause, keine Recht auf Trauer und insbesondere keine Rechte als Mutter. Mit ihrem Buch „Jede dritte Frau“ und ihrer Petition für einen gestaffelten Mutterschutz will Natascha Sagorski aufklären und vor allem eines: Dinge verändern!

Als Natascha 2019 die Worte „Ich finde leider keinen Herzschlag“ hört, stockt ihr der Atem. Aus dem nichts zerfällt ihre Welt in tausend Teile, ohne jegliche Vorwarnung und ohne Halt. Dieser Moment haut sie um. Obwohl Natascha mit Reden ihr Geld verdient, verschlägt es ihr in der Zeit nach der Fehlgeburt die Sprache.

fotos | nina andre

Jede Dritte Frau – ein Buch über Fehlgeburten

Mittlerweile hat sie ihre Worte wiedergefunden. Und nicht nur das: Sie sammelt Stimmen. Natascha möchte verbinden und connecten. In ihrem Buch „Jede dritte Frau“ bringt sie die Geschichten von 25 Menschen zusammen, die alle eine oder mehrere Fehlgeburten durchleben mussten. Es ist unglaublich bewegend, wie eine Diagnose 25 vollkommen unterschiedliche Erfahrungsberichte lostritt, die sich am Ende doch alle in Gefühlen von Einsamkeit und Trauer wiederfinden. Auf der einen Seite steht eine höchst intime und individuelle Situation, auf der anderen ein kollektives Empfinden von Überforderung, Schmerz und Alleinsein.

Es sind genau diese wiederkehrenden Gefühle, die Natascha unfassbar wütend machen und über das Buch hinaus antreiben, etwas verändern zu wollen. Jede Fehlgeburt bleibt ein einschneidendes, niederschmetterndes Erlebnis. Doch es gibt Stellschrauben, mit denen die Rahmenbedingungen für betroffene Eltern und insbesondere Mütter sich erheblich verändern könnten.

Denn eines steht fest: Zwei Menschen, die sich von ihrem ungeborenen Kind verabschieden müssen, sind Eltern. Eine Frau, die eine Fehlgeburt hat, ist eine Mutter – und bleibt es auch, egal wie lange das Herz ihres Babys geschlagen hat.

Fehlgeburten: Eine harte Grenzziehung funktioniert hier nicht

Neben der unbeschreiblichen Traurigkeit hat sich bei Natascha noch ein anderes Gefühl breit gemacht, das für viel Antrieb sorgt: Es ist Wut. „Ich bin jeden Tag schockiert“, sagt sie. Denn wegen ihres Buches und nach zahlreichen Interviews in Magazinen wie dem Spiegel und dem Stern, sowie mehreren Auftritten im Frühstücksfernsehen, erreichen Natascha tagtäglich Nachrichten von Frauen, denen das gleiche passiert ist. Vor allem melden sich Frauen bei ihr, mit denen in dieser Situation scheiße umgegangen wurde.

Wieso muss eine Frau, die ihr Kind verliert, um eine Krankschreibung betteln? Wieso weiß ich als Frau nicht über meine Optionen Bescheid? Wieso werde ich als Frau in der Regel nicht ausreichend darüber informiert, dass es die Möglichkeit einer stillen Geburt gibt, dass ich als Betroffene einen Anspruch auf eine Hebamme habe, sogar während und nach der Fehlgeburt, oder dass es Möglichkeiten gibt, das winzig kleine Baby zu bestatten? Vor allem jedoch muss ich als Frau dringend darüber aufgeklärt werden, dass es durchaus Anlaufstellen für schnellen und akuten psychologischen Beistand gibt, beispielsweise bei ProFamilia.

Häufig kehren betroffene Frauen gezwungenermaßen zu früh zurück in den Arbeitsalltag. So bleibt oft nicht ausreichend Zeit, das Geschehene zu verarbeiten. Es ist demnach kein Wunder, dass viele von ihnen in der Folge an Depressionen erkranken und dadurch oft sogar länger ausfallen, als wäre ihnen von Anfang an der Raum und das Netz geboten worden, um richtig aufgefangen zu werden.

Eine Frau erzählt Natascha davon, dass sie ein totkrankes Kind im Bauch trägt. Dieses Kind wird nicht überleben. Dennoch hofft die Betroffene inständig, dass ihr Baby bis zur 24. SSW durchhält, damit sie ein Recht auf Mutterschutz hat. Das absurde dabei: In der 23. SSW ist eine Frau fast ein halbes Jahr schwanger, aber am Ende entscheiden 24 Stunden darüber (zwischen 23. SSW und 24. SSW), ob sie vor dem Gesetz eine Mutter ist oder nicht. Ob sie im Ernstfall Anspruch auf 18 Wochen Mutterschutz hat. Die Frage nach der Logik kann hier nur mit einem Kopfschütteln beantwortet werden. Es ergibt schlicht keinen Sinn, beim Thema Fehl- und Totgeburten eine dermaßen harte Grenzziehung vorzunehmen. So werden allen Schwangeren bis zur 24. SSW jegliche Chancen auf Schutz verwehrt. Eine derartige Schwarz-Weiß-Mentalität ist in diesem Fall absolut unangebracht.

Gestaffelter Mutterschutz bei Fehlgeburten

Aus diesem Grund setzt sich Natascha für einen gestaffelten Mutterschutz ein und hat Anfang 2022 eine Petition gestartet. Denn warum sollte es keinen gestaffelten Schutz geben, auch für Frauen die vor der 24. SSW ihr Kind verlieren?

„Fehlgeburten sind negativ besetzt: Und Politik scheut sich vor negativ behafteten Themen – wieso, das frage ich mich auch!“ – Natascha Sagorski

Es ist kein Wunder, dass Frauen in Deutschland schlecht Bescheid wissen, wenn die Strukturen von oben für umfassende Aufklärung schlicht nicht gegeben sind. Wenn ein:e Gynäkolog:in erst nach dem Diagnoseschlüssel suchen muss, obwohl Fehlgeburten statistisch gesehen absolute Normalität sind, dann spricht das Bände über ein Problem im System.

Mit ihrer Petition möchte Natascha bewirken, dass eine Expert:innenkomission den Ist-Zustand kritisch begutachtet und gleichzeitig neue Ansätze für eine Staffelung und die Höhe des Mutterschutzes entwickelt. Sie fordert außerdem, dass dieser Mutterschutz ein Angebot des Staates ist, und für die Frau nicht verpflichtend. Dass eine Krankschreibung allein im Ermessen des:r behandelnden Mediziner:in liegt, da ein Kind unter 500 g Körpergewicht laut Gesetz nicht als Mensch gilt, und eine Frau daher nicht als schützenswerte Mutter, ist ein unzumutbarer Zustand.

Fehlgeburten sollten zum Allgemeinwissen gehören

Natascha ist enttäuscht von der Gleichgültigkeit der Politik. Während die mediale Aufmerksamkeit für das Thema funktioniert und gut aufgenommen wird, passiert politisch wenig. Auf viele Anfragen und Einladungen zum Austausch gab es nicht mal eine Absage. Das Bayrische Gesundheitsministerium wollte kein Statement abgeben. Von einem grünen Familienministerium erwarte sie mehr, sagt Natascha.

Doch von kleineren und auch von den größeren Hürden lässt sich Natascha Sagorski nicht abschrecken. Ihr Wille und ihre Motivation treiben sie an. In einer idealen Zukunft sollen alle Frauen, beziehungsweise Eltern, über die Häufigkeit von Fehlgeburten, den medizinischen Umgang mit diesen und anschließende potenzielle Anlaufstellen für Hilfeleistungen aufgeklärt werden. Das Thema soll zum Allgemeinwissen gehören, insbesondere damit Frauen Versagens- und Schuldgefühle ablegen und sich nicht mehr wie Einzelfälle fühlen müssen.

Bevor sie ihr Buch schrieb und auch als sie sich für eine Petition entschied, hatte Natascha Respekt vor Triggern und dem schmerzhaften Aufreißen alter Wunden. Neben viel Frust, langen Abenden und dem nicht immer leichten Jonglieren von Presseterminen, Interviews und dem Alltag mit zwei kleinen Kindern, bleibt am Ende vor allem eins: Mut. Jede einzelne Nachricht von jeder Frau gibt Natascha Kraft. Durch ihre Arbeit erlebt sie immer wieder einen wundervollen Austausch mit ganz verschiedenen Menschen, die sie bestärken und motivieren, weiterzumachen.

Denn das Thema ist relevant, und wird es bleiben. Es geht dabei um Frauenrechte, es geht um die Würde, die Anerkennung und den Respekt vor dem Frau sein und dem weiblichen Körper. „Wenn ich mich nicht laut mache, dann macht es keiner“, sagt Natascha. Und sie ist laut, und wird immer lauter.

 

Petition – Einführung eines gestaffelten Mutterschutzes. Frist: 20.09.2022

Natascha Sagorski sammelt Stimmen und Geschichten.

Erst für ihr Buch. Jetzt für die Petition. Wir vom AMAZONEN Magazin sind unfassbar stolz, sie hierbei unterstützen zu dürfen und wollen bei diesem wichtigen Thema am liebsten so laut es nur geht mitbrüllen. Den Link für die Petition findet ihr im Text und sonst auch nochmal hier. Wir freuen uns, wenn ihr Frauen dabei helfen möchtet, mehr Rechte auf Schutz nach Fehlgeburten zu bekommen.

Credits

Fotos –  Lena Augustin

Text – Stine Albers

Amazone

Instagram – natascha_sagorski

Buch – Jede 3. Frau

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